Ich ziehe mich an stressigen Tagen zurück – an irgendeinen Ort, an dem ich meine Ruhe habe und keinen Reizen ausgesetzt bin. Noch ein Faktor meiner Hochsensibilität, mit dem ich sehr lange zu kämpfen hatte.
Als junger Mensch will man eigentlich automatisch bei allen Aktivitäten seiner Freunde dabei sein. Dabei geht es dann auch nicht vordergründig darum, was man macht, sondern einfach das gemeinsame Erleben und dabei sein. Das war bei mir schon immer anders. Die Freunde gehen ins Kino? Nah. Die Freunde gehen ins Schwimmbad? Nah. Sie fahren in einen Freizeitpark? Nah. Ich habe immer gesagt: Nee, das möchte ich nicht. Meine Mutter ist daran schon manchmal verzweifelt, denn sie sah auch, dass ich darunter litt, nicht dazuzugehören. Ich wollte doch so gerne Freunde haben, die Dinge mit mir unternehmen.
In meiner letzten Beziehung ist dies auch zur Belastungsprobe geworden. Mein Freund hatte mich in die Schublade gesteckt, was man mit mir alles nicht machen kann. Was man aber sehr wohl mit normalen Frauen machen kann. Ich war eine Belastung für ihn, weil ich ihn ständig einschränkte. Heute weiß ich, ich werde mich immer zurückziehen, wenn mir etwas zu viel ist oder schon zu anstrengend erscheint und sehr früh ins Bett gehen. Und das ist gut so.
Ich bin einfach gerne zu Hause und das ist vollkommen okay.
Heute merke ich, dass ich mehr Rückzug brauche, vor allem in der Arbeitswelt. Nach einem längeren Arbeitstag brauche ich erstmal einen Tag frei, um wieder zu Kräften zu kommen. Ich weiß jetzt, dass es daran liegt, dass ich nicht nur arbeiten gehe, sondern auch der Arbeitsweg, die Stimmung der Kolleginnen, das (vorbereitete) Essen für den Tag und die Planung für den Abend mit in meine Erschöpfung mit reinspielen.
Urlaube plane ich immer mit viel Zeitpuffer und wenn Termine wie Hochzeiten oder wichtige Gespräche auf der Arbeit anstehen, dann nehme ich mir danach ein paar Tage, um die Dinge zu verarbeiten. Früher habe ich viel zu schnell Ja zu allem gesagt, und mich dabei immer wieder selbst hintergangen. Ich wollte bei vielen Dingen gerne Nein sagen, habe es mich jedoch nicht getraut. Gottseidank habe ich mittlerweile das Selbstbewusstsein, um für mich einzustehen. Das ist bei Hochsensiblen ein individueller Lernprozess, der mich auch jahrelang begleitet hat.
Ich wünsche dir viel Nachsicht mit dir selbst, wenn du derzeit das Gefühl hast, dass dein Leben und Alltag zu oft Stress in dir auslöst. Nimm‘ dir noch mehr Zeit für dich, auch wenn du das für unangemessen hältst. Einen Tag mehr Nichtstun in der Woche tut unserer Seele so gut und ist meist genau das, was wir brauchen, um ausgeglichen, entspannt und glücklich durchs Leben zu gehen.